Was passiert wenn eine durch Zeitnehmer oder Delegierten verursachte Spielunterbrechung nicht wahrgenommen wird?


In diesem Beitrag möchten wir eine komplexe und seltene, aber nicht unwahrscheinliche Spielsituation behandeln.Wir gehen der Frage nach, wie es regeltechnisch richtig vorzugehen ist, wenn der Zeitnehmer oder der Delegierte das Spiel unterbricht, aber die Schiedsrichter und die Spieler diese Unterbrechung nicht wahrnehmen.
Hierzu folgendes Beispiel:
In der ausverkauften Sporthalle ist es sehr laut. Team A ist im Angriff. Der rechte Aufbau, Spieler A10, bekommt den Ball und setzt zum Wurf auf das Tor von Team B aus ca. 9 Metern Entfernung an. Genau zu diesem Zeitpunkt (Spielzeit 13:40) unterbricht der Delegierte das Spiel mit einem akustischen Signal. Die Schiedsrichter und die Spieler am Spielfeld bekommen diese Unterbrechung nicht mit. Der Spieler A10 wirft auf das Tor und trifft. Die Schiedsrichter geben das Tor. Team B möchte daraufhin einen schnellen Anwurf ausführen. Die Schiedsrichter pfeifen den Anwurf an. Da aber der Spieler A6 den 3-Meter-Abstand nicht einhält, geben die Schiedsrichter ein Time-Out und sprechen eine 2-Minuten-Strafe gegen A6 aus (Spielzeit 13:46).Jetzt erfahren die Schiedsrichter, dass der Delegierte bei 13:40 das Spiel bereits unterbrochen hatte.
Bevor wir auf den Grund der Unterbrechung näher eingehen, lösen wir regeltechnisch das oben angeführte Beispiel.
Regel 2:9
Ein Signal des Zeitnehmers/Delegierten unterbricht das Spiel. Auch wenn die Schiedsrichter (und die Spieler) nicht sofort wahrnehmen, dass das Spiel unterbrochen ist, ist jede Handlung auf der Spielfläche nach dem Signal ungültig, also auch ein nach dem Signal gefallenes Tor. Ebenso ist eine Wurfentscheidung für eine Mannschaft (7-m-Wurf, Freiwurf, Einwurf, Anwurf oder Abwurf) ungültig.
Der Regeltext ist für diese bestimmte Situation eindeutig und unmissverständlich.
  • Das Tor zählt nicht
  • Der Anwurf ist nicht auszuführen.
Jetzt bleibt noch Frage, wie mit dem Spieler A6 regeltechnisch umzugehen ist, der den 3–Meter-Abstand bei der Anwurfausführung nicht eingehalten hat. Schließlich gibt es den Anwurf nicht mehr, da auch das Tor regeltechnisch nicht zählen darf.
Hier ist der Regeltext ebenfalls klar:
Regel 2:9
Persönliche Strafen, die die Schiedsrichter zwischen dem Signal des Zeitnehmers/Delegierten und der Wahrnehmung ausgesprochen haben, bleiben gültig, unabhängig von der Art des Vergehens und der Art der Strafe.
Laut Regelwerk gibt es hier keine Ausnahme. Alle persönlichen Strafen bleiben bestehen. Somit auch in diesem Fall.
Zusammengefasst bedeutet das:
Das Tor gilt nicht UND die Strafe für A6 bleibt bestehen.
Als nächstes müssen die Schiedsrichter feststellen mit welchem Wurf wird das Spiel fortgesetzt.
An dieser Stelle setzten wir unser Beispiel fort:
Um über die Spielfortsetzung entscheiden zu können, fragen die Schiedsrichter beim Delegierten nach, warum das Spiel unterbrochen wurde. Als Grund für die Unterbrechung wird der falsche Spielerwechsel von A6 genannt (Spieler der gerade eine 2-Minute-Strafe für das Nichteinhalten des 3-Meter-Abstands erhalten hat).
Die Spielfortsetzung lautet somit Freiwurf für Team B bei der Auswechselzone von Team A.
Warum bei der Auswechselzone von Team A?
Regel 13:6
…sollte der Freiwurf an der Stelle ausgeführt werden, an welcher der Ball sich bei der Spielunterbrechung befand, sofern dies für die ausführende Mannschaft eine günstigere Stelle ist als die, an der die Regelwidrigkeit begangen wurde.
Der Ball war während der Spielunterbrechung bei der 9-Meter-Linie von Team B. Der falsche Spielerwechsel fand im Bereich der Auswechselzone vom Team A. Da die Auswechselzone von Team A näher am Tor von Team A ist, ist dies als eine günstigere Stelle für Team B gemäß Regel 13:6 zu betrachten.
Schlussendlich muss noch aufgelöst werden, was mit dem Spieler A6 passiert. Wie wir bereits oben festgestellt haben, bleibt die 2-Minuten-Strafe für das Nichteinhalten des 3-Meter-Abstands bestehen. Jetzt haben die Schiedsrichter aber erfahren, dass der gleiche Spieler davor noch einen falschen Spielerwechsel begangen hat.
In dieser speziellen Situation, ist keine Anwendung der Regel 16:9 vorgesehen.
Mehr als ein Verstoß in derselben Situation
…Es gelten jedoch die folgenden besonderen Ausnahmen, bei denen in sämtlichen Fällen die Mannschaft auf der Spielfläche für 4 Minuten reduziert wird.
Wenn sich ein Spieler, der gerade eine Hinausstellung bekommen hat, vor der Wiederaufnahme des Spiels unsportlich verhält, erhält dieser eine zusätzliche Hinausstellung.
Die Regel sieht eine 4 Minuten-Strafe nur dann vor, wenn sich der Spieler  der gerade eine Hinausstellung  erhalten hat vor der Wiederaufnahme des Spieles unsportlich verhält. In unserem Beispiel, hat der Spieler zwar einen falschen Spielerwechsel verursacht , aber da die Strafe gegen den Spieler noch nicht ausgesprochen wurde, kann die Regel 16:9 NICHT zur Anwendung kommen.
Der Regeltext "der gerade eine Hinausstellung bekommen hat"  wird dahingehend interpretiert, dass ein Spieler eine 2-Minuten-Strafe erhalten muss (SR zeigen die Strafe an) und erst wenn er sich dann unsportlich verhält kann die Regel 16:9 zur Anwendung kommen.
Somit wird der Spieler A6 nur für 2 Minuten hinausgestellt.
Abschließend muss auf folgendes hingewiesen werden. Da die Schiedsrichter den Zeitpunkt der Unterbrechung nicht wahrgenommen haben, müssen sie beim Delegierten oder Zeitnehmer nachfragen, um den genauen Zeitpunkt der Spielunterbrechung zu bestimmen. Erst nach Erhalt dieser Auskunft können die Schiedsrichter regeltechnisch korrekte Entscheidung treffen.
Zusammenfassung:
  • Das Tor gilt nicht
  • Das Spiel wird mit Freiwurf für Team B in der Nähe der Auswechselzone von A fortgesetzt
  • A6 erhält eine 2-Minuten-Strafe 
  • Team A spielt für 2 Minuten mit 6 Spielern.
handballreferee.at 23.02.2017, Korrektur - UPDATE 29.08.2017