Einwurf, Freiwurf oder doch einfach weiterspielen lassen?

Andrei Jusufhodzic für handballreferee.at

Andrei ist IHF/EHF Schiedsrichter und Vorsitzender

der Regel -und Schiedsrichterkommission in Wien.

 


ACHTUNG! Ab der Saison 2019/2020 hat die IHF eine neue Interpretation zu diesem Thema veröffentlich. Nähere Infos findest du hier. Der nachstehende Beitrag ist ab der Saison 2019/2020 nicht mehr gültig!

Die folgende Situation kommt in einem Handballspiel nicht oft vor, aber oft genug, dass wir ihr einen Blog-Beitrag widmen:

 

Der Spieler fängt den Ball kurz vor der Seitenauslinie, gelangt aber bei dieser Aktion mit einem Fuß über die Seitenauslinie, wobei  sich der Ball noch über der Spielfläche befindet.

 

In den meisten Fällen wird in solchen Situationen von den gegnerischen Mannschaften ein Einwurf reklamiert. Dieser ist aber regeltechnisch eine falsche Entscheidung in der genannten Situation und widerspricht unserem Regelwerk. Daher schauen wir uns zunächst einmal an, wann laut Regelwerk überhaupt auf Einwurf entschieden werden darf.

Der Einwurf ist in der Regel 11 geregelt. Diese Regel beschreibt genau drei Situationen, die zu einem Einwurf führen können.

 

1. ...wenn der Ball die Seitenlinie vollständig überquert...

2. ...wenn ein Feldspieler der abwehrenden Mannschaft den Ball zuletzt berührt hat, bevor dieser die Torauslinie seiner Mannschaft überquert hat.

3. ...wenn der Ball die Decke oder über der Spielfläche befestigte Vorrichtungen berührt, ist ebenfalls auf Einwurf zu entscheiden. .... Wenn der Ball die Decke oder eine über der Spielfläche befestigte Vorrichtung berührt hat, ist der Einwurf an der dem Ort der Berührung nächstgelegenen Stelle auszuführen.

 

Es ist aus dem Regeltext klar zu erkennen, dass auf Einwurf nur dann entschieden werden darf, wenn der Ball entweder die Spielfläche verlassen oder die Decke über der Spielfläche berührt hat.

 

Wie ist also unsere Ausgangsituation regeltechnisch zu beurteilen?

Eines ist klar: kein Einwurf!

 

Die Einwurf-Regel wird in der Praxis oft mit der Regel 7:10 verwechselt. Die Regel 7:10 besagt nämlich:

 

Wenn sich ein ballbesitzender Spieler mit einem Fuß oder beiden Füßen außerhalb der Spielfläche bewegt (während der Ball sich noch innerhalb befindet), z.B. um einen Abwehrspieler zu umlaufen, ist auf Freiwurf für die andere Mannschaft zu entscheiden (13:1a).

 

Könnte also in unserem Beispiel ein Freiwurf die richtige Entscheidung sein?

Nein!

 

Das Regelwerk geht davon aus, dass das Verlassen der Spielfläche ohne Vorteilsabsicht erlaubt ist. Die oben zitierte Regel 7:10, nennt bereits im Regeltext ein Beispiel, wann auf Freiwurf zu entscheiden ist. Aus diesem Beispiel ist eine klare Vorteilsabsicht für den Angreifer erkennbar!

 

...... z.B. um einen Abwehrspieler  (Anm.: der sich korrekt verhält) zu umlaufen, ist auf Freiwurf für die andere Mannschaft zu entscheiden.

 

Im Regeltext ist keine weitere direkte Interpretation dieser Regel zu finden. Die IHF hat aber in ihrem Regelfragenkatalog, welcher eine offizielle Interpretation des Regelwerkes darstellt, folgende drei Regelfragen samt Lösung veröffentlicht.

 

A5 prellt den Ball an der Seitenlinie entlang. B2 versperrt ihm korrekt den Weg. Um an B2 vorbeizukommen, überschreitet A5 während des Prellens die Seitenlinie. Richtige Entscheidung?
a) Freiwurf für A
b) Einwurf für B
c) Freiwurf für B
d) Weiterspielen lassen

 

Richtige Antwort: C

Hier ist gemäß Regel 7:10 auf Freiwurf zu entscheiden. Die Regelfrage behandelt genau die im Regelwerk beispielhaft genannte Situation.

Wichtig! KEIN EINWURF.

 

A5 verpasst ein Zuspiel. Er läuft dem Ball nach und kann ihn vor dem Überqueren der Seitenlinie stoppen. Er selbst gelangt anschließend über die Seitenlinie. Richtige Entscheidung?
a) Weiterspielen lassen
b) Freiwurf für B
c) Einwurf für B

 

Richtige Antwort: A

Das Wort "anschließend" in der Regelfrage entspricht nicht ganz unserem Beispiel. Die nächste Regelfrage klärt aber die von uns behandelte Situation eindeutig auf.

 

Spieler A3 gelingt es, den in Richtung Seitenauslinie fliegenden Ball noch vor der Seitenlinie mit einer Hand A7 zuzuspielen. Er gerät bei dieser Aktion jedoch mit einem Fuß außerhalb des Spielfelds. A7 erzielt ein Tor. Richtige Entscheidung?
a) Einwurf für Mannschaft B
b) Freiwurf für Mannschaft B
c) Tor
d) Hinausstellung von Spieler A3

 

Richtige Antwort: C.

D.h., das Überschreiten der Seitenauslinie ist erlaubt und es darf weiter gespielt werden.

 

Zusammenfassung 

Ein Überqueren der Seitenauslinie durch den ballführenden Spieler kann nur dann zum Einwurf führen, wenn auch der Ball vollständig die Seitenauslinie überquert hat.

Auf Freiwurf darf nur dann entschieden werden, wenn durch das Verlassen der Spielfläche der ballführende Spieler einen Vorteil erlangt. Überschreitet der ballführendes Spieler lediglich die Seitenlinie, darf nicht auf Freiwurf (bzw. Einwurf) entschieden werden.

 

Abschließend darf eine andere Regelstelle nicht unerwähnt bleiben. Das Regelwerk regelt viel strenger jene Situationen, in denen die Spieler die Spielfläche ohne Ball verlassen.

 

z.B.: der Flügelspieler nimmt vor der Ballannahme Anlauf außerhalb der Spielfläche.

 

Hier lautet die Regel ziemlich klar und unmissverständlich wie folgt:

 

Verlässt ein Spieler der ballbesitzenden Mannschaft die Spielfläche ohne Ball, haben die Schiedsrichter ihn aufzufordern, auf die Spielfläche zurückzukehren. Tut er das nicht oder wiederholt sich das Vorkommnis bei derselben Mannschaft, ist ohne vorherige Aufforderung auf Freiwurf für die andere Mannschaft zu entscheiden (13:1a). Derartige Vergehen führen nicht zu persönlichen Bestrafungen gemäß Regel 8 und 16.

 

07.10.2016