Warum vermeiden Head Coaches es, als Offizielle A eingetragen zu sein?

Die Eintragung des Head Coaches als Offizieller B, C oder D ist gewissermaßen ein "administrativer Schutz" des Trainers. Er soll nicht für administrative Angelegenheiten progressiv bestraft werden und somit unter Umständen das Spielfeld vorzeitig verlassen müssen. Bevor wir auf die angesprochenen administrativen Angelegenheiten näher eingehen, rufen wir nochmals in Erinnerung, was das Regelwerk im Bezug auf progressive Bestrafung der Mannschaftsoffiziellen vorsieht.

 

Pro Mannschaft dürfen regeltechnisch NUR folgende Strafen ausgesprochen werden:

  • Eine Verwarnung pro Mannschaft. Hat beispielsweise Offizieller D bereits eine Verwarnung erhalten, muss beim nächsten Vergehen eines Offiziellen der selben Mannschaft
  • eine Hinausstellung ausgesprochen werden.  Beim nächstfolgenden Vergehen eines Offiziellen (der selben Mannschaft), unabhängig von der Art des Vergehens, muss
  • eine Disqualifikation als Strafe angewendet werden.

Laut Regelwerk wird in bestimmten Situationen der Mannschaftsverantwortliche (in den meisten Ländern, auch Österreich, ist das automatisch der Offizieller A) progressiv bestraft. Somit bedient sich der Head Coach des oben erwähnten "administrativen Schutzes", indem er/sie sich als Offizieller B, C oder D eintragen lässt. 

 Schauen wir uns nun die entsprechenden Regelstellen an (Anm: Regeltext  ist in blauer kursiver Schrift gehalten):

 

Regel 4:3

"Der Mannschaftsverantwortliche ist dafür verantwortlich, dass nur teilnahmeberechtigte Spieler die Spielfläche betreten. Andernfalls ist er wegen unsportlichen Verhaltens zu bestrafen."

Beispiel:

Ist das Spielprotokoll nicht korrekt ausgefüllt (z.B. ein Spieler kommt zu spät und ist noch nicht im Spielbericht eingetragen, betritt aber trotzdem die Spielfläche) muss der Mannschaftsverantwortliche bestraft werden.

 

Regel 4:2

"Der Mannschaftsverantwortliche ist dafür verantwortlich, dass sich ab Spielbeginn im Auswechselraum keine anderen Personen als die eingetragenen Offiziellen (max. 4) und die teilnahmeberechtigten Spieler (4:3) befinden.  .... Bei Verstößen ist er progressiv zu bestrafen."

Hierzu ein praktisches Beispiel: 

Kommt während des Spieles z.B. der Manager der Mannschaft A in den Auswechselraum seiner Mannschaft und ist er nicht im Spielbericht eingetragen, ist regeltechnisch der Offizielle A der Mannschaft A progressiv zu bestrafen.

 

Des Weiteren ist in der Regel 4:2 folgender Satz zu finden:

 

Regel 4:2 

"Ebenso ist er für die Einhaltung des Auswechselraum-Reglements verantwortlich."

Wir zählen hier einige Verstöße des Auswechselraum-Reglements, bei welchen der Offizielle A zu bestrafen ist, auf:

 

Auswechselraum-Reglement

"An der Seitenlinie vor den Auswechselbänken dürfen (bis mindestens 8 m von der Mittellinie) keinerlei Gegenstände stehen."  

Wenn die Schiedsrichter oder der technische Delegierter während des Spieles etwaige Gegenstände in diesem Bereich wahrnehmen, dürfen Sie auf die Behebung des Mangels bestehen und den Offiziellen A progressiv bestrafen.

 

Auswechselraum-Reglement

"Die Mannschaftsoffiziellen müssen im Auswechselraum komplette Sport- oder Zivilkleidung tragen. Farben, die zu Verwechslungen mit den gegnerischen Feldspielern führen können, sind nicht erlaubt."

Für die regeltechnisch korrekte Bekleidung der Offiziellen ist ebenfalls der Mannschaftsverantwortliche verantwortlich.

 

Es gibt noch weitere Spielsituationen, im welchen der Mannschaftsverantwortliche progressiv zu bestrafen ist. Folgende Spielsituationen sind zwar im Regelwerk nicht explizit angeführt, aber gemäß der IHF-Regelauslegung ist auch hier der Mannschaftsverantwortliche progressiv zu bestrafen. 

 

  • Die Mannschaft verzögert den Spielbeginn, weil z.B. die Besprechung in der Kabine zu lange gedauert hat.
  • Die Mannschaft ist nach der Halbzeitpause nicht rechtzeitig auf die Spielfläche zurückgekehrt. 
  • Nach einem Team-Time-Out ist die Mannschaft nicht rechtzeitig bereit, das Spiel wieder aufzunehmen (ein Team-Time-Out dauert 50 Sekunden, nach 60 Sekunden müssen die Mannschaften bereit zur Spielfortsetzung sein = Anpfiff).

 

Das Regelwerk spricht dem Mannschaftsverantwortlichen aber auch ein besonderes Recht zu:

 

Regel 4:2

"Eine Mannschaft darf im Spielverlauf höchstens 4 Mannschaftsoffizielle einsetzen. .... Einer von ihnen ist als „Mannschaftsverantwortlicher“ zu bezeichnen. Nur er ist berechtigt, Zeitnehmer/Sekretär und eventuell die Schiedsrichter anzusprechen".

 

Oft ist den Mannschaften nicht bewusst, dass der Head Coach mit dem Verzicht auf die Rolle des Mannschaftsverantwortlichen dann über diese "exklusive" Berechtigung nicht mehr verfügt. Da die Schiedsrichter jedoch in diesem Bereich das Regelwerk nicht so streng wie vorgesehen anwenden (sollen), wird diese "exklusive" Berechtigung in der Praxis kaum wahrgenommen.

 

Hinweis: Das Team-Time-Out kann durch einen beliebigen Mannschaftsoffiziellen beantragt werden.

  

Zusammengefasst ist festzuhalten, dass das Regelwerk im Bezug auf administrative Angelegenheit sehr streng ist und den Mannschaftsverantwortlichen stark in Verantwortung nimmt. Vielleicht erkennt man aber auch anhand von den oben genannten Beispielen, dass die Schiedsrichter in der Praxis viel öfter ein Auge zudrücken, als man es vermuten würde.

 Andrei Jusufhodzic 10.08.2017