Der verletzte Spieler und die regeltechnischen Folgen

Eine weitere Regeländerung 2016 betrifft die Regel 4:11. Diese Regelstelle behandelt den Umgang mit dem verletzten Spieler auf der Spielfläche. Folgender Regeltext wurde mit der aktuellen Regeländerung hinzugefügt:

 

"Nachdem ein Spieler auf der Spielfläche versorgt wurde, muss er diese umgehend verlassen. Er darf die Spielfläche erst nach Abschluss des dritten Angriffs seiner Mannschaft wieder betreten"

 

Um vorweg Unklarheiten zu beseitigen: der verletzte Spieler darf durch einen anderen Spieler sofort ersetzt werden (sofern der verletzte Spieler während dieser Aktion keine Hinausstellung oder Rote Karte erhalten hat).

 

Die Wichtigkeit dieser Regeländerung zeigt sich auch dadurch, dass die IHF eine eigene Erläuterung zu dieser Regel in das Regelbuch implementiert hat. Bevor wir uns aber die gesamte Regeländerung genauer anschauen, erläutern wir auch hier kurz den Hauptgrund (aus der Sicht der IHF), warum diese Regeländerung eingeführt wurde.

 

Zeit ist Geld.

 

Die IHF wies bereits öfters darauf hin, dass die  Bruttospielzeit (= Spielzeit vom Anpfiff bis zum Schlusspfiff, inkl. aller Pausen und Unterbrechungen) eines Handballspieles  vor allem bei TV-Live-Übertragungen eine wichtige Rolle spielt. Unnötige Verzögerungen kosten Geld. Als eine ungewollte Verzögerung wurde auch "vermeintliche" Verletzungen der Spieler attestiert. Es wurde festgestellt,  dass viele Behandlungen am Spielfeld gar nicht notwendig waren und nur aus taktischen Gründen von Spielern herbeigerufen wurden. Gleichzeitig schaden häufige Unterbrechungen dem Spielfluss und der Spielattraktivität.

 

Über diese Ansichtsweisen kann man natürlich viel diskutieren, allerdings kann aus persönlicher Erfahrung berichtet werden, dass bei der Junioren WM in Brasilien 2015 diese Regeländerung erfolgreich getestet wurde. In den ca. 50 Vorrundenspielen gab es insgesamt nur etwa 5-6 Unterbrechungen wegen verletzter Spieler. Das war für alle beteiligten eine große Überraschung.

 

Aufgabenaufteilung bei der Umsetzung der Regel 4:11

 

Die Erläuterung 8 gibt eine klare Anweisung zur Aufgabenteilung bei der Umsetzung der Regel 4:11. Ob eine Versorgung für den verletzten Spieler angefordert wird, entscheiden die Schiedsrichter. Wann der verletzte Spieler wieder die Spielfläche betreten darf, fällt hingegen in den Aufgabenbereich der Richtertischfunktionäre.

 

Aufgabenbereich der Schiedsrichter

  

Entscheiden die Schiedsrichter, dass der verletzte Spieler auf der Spielfläche versorgt werden muss, dürfen sie laut Regelwerk unverzüglich ein Time-Out geben und der betroffenen Mannschaft das Betreten der Spielfläche (max. zwei Personen) gestatten.

Wenn die Schiedsrichter nicht sicher sind, ob eine Behandlung notwendig ist, müssen sie entsprechend dem Regelwerk wie folgt vorgehen:

 

"(...) fordern die Schiedsrichter den Spieler auf, aufzustehen und die Spielfläche zum Zwecke der Versorgung zur Verlassen. Ist dies für den betroffenen Spieler nicht möglich, zeigen die Schiedsrichter nunmehr das Handzeichen 15 (Time-Out) und 16 (Erlaubnis zum Betreten der Spielfläche). Für den betreffenden Spieler gelangt die Anwendung der Regel 4:11 Abs. 2 zur Anwendung"

 

D.h., die Schiedsrichter haben eine klare Vorgabe, die verletzten Spieler aufzufordern, die Spielfläche zu verlassen. Dabei sollten Sie grundsätzlich kein Time-Out geben, da die Regel klar darauf hinweist, dass das Time-Out (Handzeichen 15) erst dann zu geben ist, wenn feststeht, dass der betroffene Spieler die Spielfläche nicht selbstständig verlassen kann.

 

Anhand der folgenden zwei Beispiele möchten wir die aktuelle WHV-RSK-Empfehlung zur Umsetzung der Regel 4:11 bekanntgeben.

 

Beispiel 1

Spieler A5 wirft aus dem Rückraum und wird auf der 9-Meter-Linie von Spieler B7 gefoult. Die Schiedsrichter entscheiden auf Foul für A5, sie geben aber keine progressive Strafe gegen Spieler B7. Spieler A5 bleibt am Boden liegen. Die Schiedsrichter können keine Verletzung des Spielers feststellen. Einer der Schiedsrichter geht kurz zum Spieler A5 hin, ohne die Spielzeit anzuhalten (ausnahmen sind aus spielpraktischen Gründen natürlich möglich) und erkundigt sich, ob er weiterspielen bzw. aufstehen und eigenständig die Spielfläche ZÜGIG verlassen könne. Sollte der Spieler das nicht sofort bejahen bzw. nicht sofort aufstehen können, stoppen die Schiedsrichter die Spielzeit und geben die Erlaubnis zum Betreten der Spielfläche für max. zwei Personen vom Team A.

 

Wichtig! Kann das Spiel nicht fortgesetzt werden, weil der zu behandelnde Spieler nicht umgehend aufstehen kann oder nur zögerlich alleine die Spielfläche verlässt, sollen die Schiedsrichter die Anwendung der Regel 4:11 durch ein Time-Out und das Handzeichen 16 herbeiführen.

Das bedeutet: wenn sich die Schiedsrichter für ein Time-Out NUR wegen einem verletzten Spieler entscheiden und NUR deshalb die Spielzeit unterbrechen müssen, soll die Regel 4:11 Anwendung finden. Ein Time-Out zu geben und dann abzuwarten, dass der verletzte Spieler langsam die Spielfläche verlässt, ist NICHT im Sinne dieser Regel!

 

Beispiel 2

Spieler A5 wirft aus dem Rückraum, nach dem Wurf bleibt er liegen. Tormann B1 hält den Ball. Die Schiedsrichter geben kein Foul und lassen weiterspielen. Tormann B1 passt zum Gegenstoß laufendem Spieler B8. Dieser umspielt Spieler A20, passt zum Spieler B9, welcher auf das Tor wirft und trifft. Die Schiedsrichter entscheiden auf Tor für B. Da der Spieler A5 noch immer am Boden liegt, unterbrechen die Schiedsrichter das Spiel und geben die Erlaubnis für das Betreten der Spielfläche.

Aufgrund dessen, dass der Spieler A5 längere Zeit auf dem Boden liegen geblieben ist, können die Schiedsrichter davon ausgehen, dass der Spieler verletzt ist. Die Schiedsrichter müssen in diesem Fall nicht mehr nachfragen, ob der Spieler alleine die Spielfläche verlassen kann.

 

Die Schiedsrichter geben ein Time-Out und fordern die Versorgung für den verletzten Spieler an.

 

Müssen die Offiziellen eintreten? JA!

 

Die Regel besagt: "Verweigern die Mannschaftsoffiziellen die notwendige Behandlung des Spielers, ist der Mannschaftsverantwortliche progressiv zu bestrafen"

 

Dabei ist zu beachten:

  • Mannschaftsverantwortlicher = Offizieller A. Dieser ist progressiv zu bestrafen, auch wenn sich z.B. Offizieller D (= Arzt) weigert, die Spielfläche zu betreten.
  • Progressive Bestrafung => Kommentar zur Regel 16:3 beachten.
  • Die "notwendige Behandlung" ist nicht aus ärztlicher Sicht zu betrachten, sondern gemäß der Wahrnehmung der Schiedsrichter.

 

Muss der behandelte Spieler die Spielfläche verlassen?

 

Die Antwort lautet grundsätzlich JA. Das Regelwerk schreibt aber explizit folgende zwei Ausnahmen vor:

 

1. "(...) wenn die auf der Spielfläche erfolgte Versorgung die Folge eines regelwidrigen Verhaltens eines gegnerischen Spielers war, der hierfür progressiv bestraft wurde."

 

Achtung! Verletzt sich z.B. ein Verteidiger nach einem an ihm begangenen Stürmerfoul und die Schiedsrichter sprechen keine Strafe gegen den Angreifer aus (es handelt sich also um ein übliches, nicht unfaires Stürmerfoul), muss der verletzte Spieler im Falle einer Behandlung auf der Spielfläche trotzdem diese verlassen und drei Angriffe aussetzen!

 

2. "(...) wenn ein Torwart auf der Spielfläche versorgt werden musste, weil er von einem Ball am Kopf getroffen wurde."

 

Achtung! Für alle anderen Verletzungen des Tormannes (außer bei progressiver Bestrafung wie im Punkt 1. oben angeführt) gilt diese Ausnahme nicht. 

 

Aufgabenbereich der Richtertischfunktionäre

 

Wann der verletzte Spieler wieder die Spielfläche gemäß Regel 4:11 betreten darf, fällt ausschließlich in den Aufgabenbereich des Delegierten bzw. des Zeitnehmers und Sekretärs. Die Regel besagt nämlich:

 

"Zeitnehmer und Sekretär oder der Delegierte sind für das Zählen der Anzahl der Angriffe verantwortlich. Sie geben der entsprechenden Mannschaft einen Hinweis, wenn dieser Spieler wieder auf der Spielfläche eingesetzt werden kann."

 

Regel 4:11

(...) Er darf die Spielfläche erst nach Abschluss des dritten Angriffs seiner Mannschaft wieder betreten."

 

Das bedeutet, dass die offiziell angesetzten Richtertischfunktionäre für das Zählen der Angriffe verantwortlich sind. Somit bestimmen sie, wann der verletzte Spieler wieder die Spielfläche betreten darf.

 

Hilfestellung für das Zählen der Angriffe wird ansatzweise im Regelwerk geleistet.

 

"Ist eine Mannschaft, deren Spieler auf der Spielfläche versorgt wurde, bei der Spielfortsetzung im Ballbesitz, zählt dieser Angriff als erster Angriff."

 

Der wichtigste Teil der Regel ist im folgenden Absatz zu finden:

 

"Ein Angriff beginnt mit dem Ballbesitz und endet mit einem Torerfolg oder Ballverlust."

 

Ballbesitz bedeutet, dass ein Spieler den Ball unter Kontrolle haben muss. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass der Ball in den Händen gehalten werden muss. Eine etwas komplexere Situation beschreibt das folgende Beispiel:

 

Beispiel 3

Verteidiger A7 wurde auf der Spielfläche behandelt und musste gemäß Regel 4:11 die Spielfläche verlassen. Spielfortsetzung erfolgte durch einen Freiwurf für Team B. Spieler B2 ist im Ballbesitz und versucht, durch das Prellen des Balles Spieler A13 zu umspielen. Spieler A13 spielt den Ball weg, prellt diesen zwei Mal, verliert den Ball aber sofort wieder.

 

Die Frage stellt sich nun, ob Spieler A13 im Ballbesitz war und ob das zweimalige Prellen des Balles als erster Angriff galt.

 

Wenn Spieler A13 dem Ball durch das Prellen eine kontrollierte Richtung gegeben hat, ist von einem Ballbesitzwechsel auszugehen unabhängig ob er in dieser Aktion z.B. Doppel macht. Dabei ist es irrelevant, ob der Angriff 2 oder 20 Sekunden gedauert hat.

Wird der Ball durch Spieler A13 lediglich weggeschlagen und gelangt dieser danach wieder zum Team B (z.B. Einwurf für Team B),  dann wird das nicht als Ballbesitz für Team A gewertet. 

 

An diesem Beispiel sieht man, dass die neue Aufgabe für die Delegierten, Zeitnehmer und Sekretäre durchaus anspruchsvoll werden könnte.

 

Wie anspruchsvoll diese Aufgabe wirklich sein wird, werden wir in den ersten Monaten der neuen Meisterschaft sehen.

Die IHF hat hier aber einen "Sicherheitsmechanismus" eingebaut und weist ausdrücklich darauf hin, das ein eventuelles Verzählen der Angriffe zu keiner Spielwiederholung führen kann.

 

In der Regel 18:1 heißt es dazu:

 

Andere Aufgaben, ..... sowie das Aus- und Eintreten von Auswechselspielern und das Zählen der Anzahl der Angriffe nach der Versorgung eines Spielers auf der Spielfläche gelten als gemeinsame Verantwortungen. Diese Entscheidung ist eine Tatsachenfeststellung.

 

An dieser Stelle ist Folgendes zu beachten: Tatsachenfeststellung ist das Zählen der Angriffe. Regeltechnisch problematischer ist der Umstand, dass ein Spieler die Spielfläche verlassen MUSS, wenn er auf der Spielfläche versorgt wurde. Gleichzeitig ist es wichtig, die Ausnahme im Falle einer progressive Strafe für den Gegenspieler zu beachten. Ob ein Tormann jedoch am Kopf getroffen wurde, ist hingegen als Tatsachenentscheidung zu werten.

 

Wie weiß der verletzte Spieler, wann er wieder die Spielfläche betreten darf?

 

Das Regelwerk (Erläuterung 8) besagt dazu lediglich:

 

"Sie (die Richtertischfunktionäre, Anm.d.Red.) geben der entsprechenden Mannschaft einen Hinweis, wenn dieser Spieler wieder auf der Spielfläche einsetzt werden kann."

 

Der ÖHB hat einen "Tischzettel", ähnlich wie bei einer Hinausstellung, zur Verfügung gestellt. Wenn der "Tischzettel" entfernt wird, darf der Spieler, nach entsprechendem Wechsel, die Spielfläche wieder betreten.

Der entsprechende Tischzettel kann hier runtergeladen werden!

 

Was passiert, wenn der verletzte Spieler zu früh die Spielfläche betritt?

 

Betritt der verletzte Spieler die Spielfläche vor dem Ablauf der drei Angriffe, d.h. bevor er den Hinweis der Richtertischfunktionäre zum Betreten der Spielfläche erhält, wird er mit einer Hinausstellung bestraft.

In diesem Fall erfolgt die gleiche Vorgehensweise wie bei einem falschen Spielerwechsel!

 

Zum Abschluss noch eine Regelstelle, die man nicht übersehen darf:

 

"Der Spieler kann unabhängig von der Anzahl der gezählten Angriffe bei Wiederaufnahme des Spiels nach einer Spielhälfte wieder eingesetzt werden."

 

Abschliessend weist die WHV-RSK darauf hin, dass die Technische Kommission des WHV diese Regel NICHT für die WHV-Bewerbe übernehmen wird. Allerdings müssen alle Schiedsrichter (auch die Landeskaderschiedsrichter) und alle Richtertischfunktionäre diese Regel anwenden können, da der gesamte Kader bei den ÖHB-Bewerben wie HLA U20, BL U20 bzw. WHA U19 zum Einsatz kommen könnte.