"Empty Goal" und eine alte Regel

Dieser Beitrag behandelt die Vereitelung einer klaren Torgelegenheit im Zusammenhang mit dem Empty Goal. 

Um mehr über Empty Goal im Handball zu erfahren, folge bitte diesem Link.

 

Die neue Regeländerung "Zusätzlicher Spieler" hat wie keine andere aktuelle Regeländerung unsere Sportart verändert und neue taktische Möglichkeiten eröffnet. In der Handballwelt wird heftig diskutiert, ob die Nebenerscheinung dieser Regeländerung, das sogenannte "empty goal", die Attraktivität unserer Sportart durch die Möglichkeit eines Wurfes auf das leere Tor steigert oder handelt es sich um einfache, "billige" Tore, die niemand sehen möchte.

Unabhängig von dieser subjektiver Beurteilung entsteht im Zusammenhang mit dem "empty goal" regeltechnisch eine interessante Situation, die durchaus häufig vorkommen kann.

 

Beispiel:

Spielzeit 28:10. Team A ist im Angriff und spielt mit einer zusätzlichen Spielerin. Das Tor von Team A ist somit leer. Spielerin B2 erobert in der Verteidigung den Ball. Nachdem sie den Ball unter Kontrolle gebracht hat realisiert sie, dass das Tor von Team A noch immer leer ist. Sie setzt aus ca. 30 Meter Entfernung zum Wurf auf das leere Tor an. Inzwischen befinden sich 4 Deckungsspielerinnen von Team A zwischen der Spielerin B2 und dem leeren Tor. Zusätzlich wird die Spielerin B2 während des Wurfes auf das leere Tor von einer Verteidigerin  frontal attackiert. Der Wurf gelangt nicht in das leere Tor, sondern trifft nur die linke Torstange. Die Schiedsrichterinnen sind der Meinung, dass die Attacke der Verteidigerin zwar nicht regelkonform war, aber dass das begangene Foul keine progressive Bestrafung nach sich zieht. Durch den entstandenen frontalen Körperkontakt wurde lediglich der Spielerin B2 die Möglichkeit genommen ungehindert auf das Tor zu werfen.

Entscheidung?

In diesem Fall kommt eine ALTE Regel zur Anwendung. Sie steht nicht im Zusammenhang mit der Regeländerung 2016, wird aber fälschlicherweise oft als eine neue Regeländerung wahrgenommen.

 

Laut Regel 14:1 ist bei

 
"regelwidrigem Vereiteln einer klaren Torgelegenheit auf der gesamten Spielfläche durch einen Spieler oder Mannschaftsoffiziellen der gegnerischen Mannschaft;"

 

auf einen 7-Meter-Wurf zu entscheiden.

 

Als klare Torgelegenheit wird im Regelwerk auch die von uns oben beschriebene Situation genannt:

 

"Nach Regel 14:1 handelt es sich um eine „klare Torgelegenheit“, wenn:

 

ein Torwart seinen Torraum verlassen hat und ein Gegenspieler mit Ball- und Körperkontrolle eine klare und ungehinderte Gelegenheit zum Wurf des Balls ins leere Tor hat. "

 

Somit kommen wir auch sehr schnell zu Auflösung unseres Beispiels.

 

Richtige Entscheidung: 7-Meter-Wurf für Team B und KEINE progressive Bestrafung für die Spielerin von Team A.

 

Das von uns angeführte Beispiel ist auch tatsächlich bei einem Woman´s Champions League-Spiel vorgekommen. Das entsprechende Video kann hier runtergeladen werden (WMV File - ca. 19 MB, Quelle ehfTV) .  
  

Ähnlich aussehende Situationen - komplett andere Entscheidung

Da das Regelwerk unserer Sportart komplex ist, möchten wir an dieser Stelle einige Varianten der oben genannten Situation regeltechnisch beleuchten. Es kann nämlich durchaus vorkommen, dass wir uns in einer fast identen Situation im Spiel wiederfinden, aber regeltechnisch eine andere Entscheidung getroffen werden muss.

 

Variante 1

Situation wie oben angeführt, aber die Spielerin versucht offensichtlich nicht, auf das Tor zu werfen, sondern versucht eine Mitspielerin anzuspielen.

 

Lösung: Sind die SchiedsrichterInnen der Auffassung, dass die Spielerin ganz klar versucht, eine Mitspielerin anzupassen bzw. wird aufgrund der getätigten Aktion klar erkannt, dass eine Mitspielerin angepasst wurde, lautet die Entscheidung Freiwurf für Team B, sofern keine Vorteilsgewährung möglich. Auch hier ist grundsätzlich keine progressive Strafe zu geben (= Freiwurf und keine progressive Strafe).

 

Variante 2

Nehmen wir an, dass die Spielerin B2 aus der eigenen Hälfte einen ihr zugesprochenen Freiwurf ausführt, d.h. der Ball ist nicht im Spiel. Die Spielerin B2 erkennt, dass das Tor leer ist und möchte den Freiwurf so ausführen, dass sie direkt auf das leere Tor wirft. Sie wird bei der Freiwurfausführung von der Spielerin A5 gehindert und kann den Ball nicht abspielen. 

 

Lösung: Hier befindet sich der Ball nicht im Spiel und somit kann nicht auf 7-Meter-Wurf entschieden werden. Der Freiwurf wird wiederholt, aber die Spielerin A5 erhält eine progressive Strafe (= Freiwurf Team B und progressive Strafe).

UPDATE!: Ab 01.07.2018 hat die IHF die Regelinterpretation angepasst und für diese bestimmte Situation eine Ausnahme geschaffen. Ab sofort lautet auch hier die richtige Entscheidung 7-Meter Wurf und progressive Strafe für die Spielerin A5.

 

Variante 3

Wie Variante 2, nur hier gelingt es der Spielerin B2 den Freiwurf auszuführen. Die Spielerin A5 hält aber den 3-Meter-Abstand nicht ein (sie befindet sich 1,5 Meter von der ausführenden Spielerin entfernt) und blockt den Ball ab.

 

Lösung: Hier befindet sich der Ball bereits im Spiel, da dieser bereits die Hand der Spielerin B2 verlassen hat. Somit kann auf 7-Meter-Wurf entschieden werden und die Spielerin A5 wird für das Nichteinhalten vom 3-Meter-Abstand progressiv bestrafft (= 7-Meter-Wurf für Team B und progressive Strafe für A5).

 

Wir wollen dich nicht verwirren aber, da gibt es noch die "Die letzten 30 Sekunden-Regel"...

Diese Situation kann auch in den letzten 30 Sekunden einer 2. HZ vorkommen. Die von uns angeführte Variante 2 hat in den letzten 30 Sekunden eine andere Entscheidung zufolge. SEIT DER REGELANPASSUNG v. 01.07.2018  SPIELFORTSETZUNG WIE VARIANTE 2.

 

Variante 2b

Nehmen wir an, dass die Spielerin B2 aus der eigenen Hälfte einen ihr zugesprochenen Freiwurf ausführt, d.h. der Ball ist nicht im Spiel. Die Spielerin B2 erkennt, dass das Tor leer ist und möchte den Freiwurf so ausführen, dass sie direkt auf das leereTor wirft. Sie wird bei der Freiwurfausführung von der Spielerin A5 gehindert und kann den Ball nicht abspielen. Spielzeit 59:35.

 

Lösung: Grundsätzlich kann man sagen, dass ein nicht ausgeführter Wurf (= Ball nicht im Spiel) nicht zu einem anderen Wurf führen kann (SIEHE JEDOCH REGELANPASSUNG VON 01.07.2018. So ist das auch in unserem Beispiel Variante 2. Das gilt aber nicht für die letzten 30 Sekunden einer 2. HZ.

In der Variante 2b lautet die richtige Entscheidung: 7-Meter-Wurf für Team B und rote Karte für Spielerin A5.

 

handballreferee.at AJ, 19.05.2017